Weiße Nächte, weites Land

Voll motiviert nehmen wir einen Kilometer nach dem anderen unter die Räder. Im Rückspiegel wird Moskau immer kleiner und kleiner. Wir steuern auf die Stadt Vladimir zu, als unsere Fahrt plötzlich durch die Kelle eines Polizisten gestoppt wird. Nach deutscher Manier geht unser Blick sofort auf den Lichtschalter und den Anschnallgurt, doch dafür wäre es ohnehin schon zu spät. Wir fahren rechts ran und warten mit einem mulmigen Gefühl auf die zwei Polizisten, die sich uns mit strengem Blick nähern. Der jüngere der beiden nähert sich der Fahrerseite. Wir geben unser Bestes und versuchen mit einer freundlichen Begrüßung „Zdravstvuyte“ unsere Anspannung zu lockern. Der kurzen Ansage „papira maschina“ folgend, überreichen wir dem Polizisten den Führerschein und die Fahrzeugpapiere. Lächelnd nimmt der junge Polizist die Dokumente in Augenschein und fragt: „Do you speak english…“ und schon ist das Eis gebrochen. Kurz darauf steht Christian mit dem Polizisten Dimitri, bereits per du, in unserer Kabine und unterhält sich mit ihm über Gott und die Welt, das Reisen, woher wir kommen, wohin wir gehen und über die Träume des jungen Mannes. Nach über 30 Minuten finden wir uns vor dem LKW wieder, tauschen WhatsApp Kontakte, machen Selfies vor dem Wagen und verabschieden uns mit einer herzlichen Umarmung.

Beeindruckt von der Herzlichkeit und Offenheit unterhalten wir uns noch kilometerweit angeregt über diese Begegnung.

Unser Weg führt uns weiter in Richtung Kazan. Immer wieder streift die ungezähmte Wolga unseren Weg. 

Am Ende des Tages finden wir einen Übernachtungsplatz auf einer Hügelkette mit wunderbarer Aussicht über die Wolgaauen. Der Sonnenuntergang rundet unseren Tag ab. Wir feuern den Grill an und beenden den langen Tag mit einem Glas Wein und Grillsteaks.

Dass sich unsere Pläne schon am nächsten Morgen ändern sollen, ist uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.

Nach dem Frühstück starten wir den Motor, doch anders als gewohnt, vernehmen wir ein metallenes Geräusch von der Kupplung. Sofort fällt der Verdacht auf das Kupplungslager. Einen Ersatz haben wir dabei und googeln den Standort der nächsten LKW-Werkstatt. Dort angekommen geben wir nach einem kurzen Kostenvoranschlag die günstige Reparatur in Auftrag. Nach weiteren zwei Stunden stellt sich heraus, dass die Kupplung und das Lager noch im guten Zustand sind. Allerdings zeigt die Getriebewelle zu viel Spiel. Wir demontieren das Hauptlager und begeben uns auf eine dreitägige Suche nach einem Ersatz. Leider ohne Erfolg. Ein Versand aus Europa wäre zwar möglich, würde aber vier Wochen dauern. Allerdings bestätigen uns mehrere gute Freunde, dass weder Geräusch noch Spiel Einfluss auf die Funktion haben und wir getrost unsere Reise fortsetzen können. Beim Zusammenbauen des Getriebes entdeckt Christian einen Riss am Auspuff-Flexrohr. Da ein Neuteil in passender Größe nicht vorhanden und eine Reparatur angeblich nicht möglich sei, gibt Christian eine kurze Lehrstunde im Schweißen. 

Noch am selben Tag lernen wir den herzensguten Renat kennen. In seiner verlängerten Mittagspause entführt er uns in seinem „weißen Mercedes“ (Lada) zur Klosterstätte Raifa. Auf dem Weg dorthin halten wir unerwartet vor einem Imbiss, wo er uns usbekische Samsa (heiße, unglaublich lecker duftende Blätterteigtaschen) und etwas zu Trinken besorgt. Angekommen in dem abseits gelegenen Raifa bekommen wir eine unvergessliche und sehr emotionale Führung durch das Kloster.

Sonnenuhr und Glücksbringer

 

Abermals entsteht eine schöne Freundschaft. Zum Abschied überreicht uns Renat eine Gebetskette und traditionelles Gebäck aus Tullin.

 

Die Wartezeit haben wir natürlich genutzt und haben die wunderschöne Stadt Kazan erkundet.

Landwirtschaftsministerium
Mariä-Verkündigungs-Kathedrale
Die Kul Sharif Moschee
Die Moschee vom Zuschauerbalkon

Nach über sechs Tagen setzen wir unsere Reise mit gemischten Gefühlen fort. Jetzt gilt es leider die verlorene Zeit wieder aufzuholen, denn unser Visum ist begrenzt.

Russland zeigt sich uns mit schier endlos langen Strassen, in überwiegend guten Zustand, durch sehr abwechslungsreiche Landschaften.

Auf dem Weg nach Perm
Kaffeepause

Ein russischer Kindergarten
Typische Behausung auf dem Land

Einer von vielen wilden Übernachtungsplätzen
Freiheit ist …

Unser nächstes Ziel ist Perm, der nördlichste Ort auf unserer Reise. Unterwegs finden wir immer wieder traumhafte Übernachtungsplätze abseits der Straßen. So auch an unserem Hochzeitstag.

Romantischer Übernachtungsplatz am Hochzeitstag
Unser Candlelight dinner
Guten  Morgen Welt

Angekommen in Perm erleben wir zwei fast weiße Nächte. Die Sonne geht erst sehr spät gegen 23:30 Uhr unter, um dann erneut gegen halb drei Uhr morgens durch unsere Fenster zu scheinen. 

Beinahe jeden zweiten Tag durchfahren wir eine neue Zeitzone. Es geht vorbei an Jekaterinburg und Tjumen, dem russischen „Dubai“.

Wir erreichen Omsk mit einer Zeitverschiebung von vier Stunden. An Omsk vorbei führt die 700km weite Strecke, unsere bisher längste Etappe, nach Novosibirsk. Dass wir jetzt in Sibirien sind bestätigen die unendlich weiten Birkenwälder und Sumpfgebiete

Am selben Tag erfahren wir noch, dass in Irkutsk am Baikalsee, schwere Überflutungen uns womöglich die Weiterfahrt erschweren. Da wir gesperrte Strassen vermeiden wollen und keinen Urlaub im Krisengebiet machen möchten, beschließen wir direkt in die Mongolei zu fahren.

Auf dem Weg dorthin überqueren wir die Region Altai. 

“Region Altai”

UNESCO Welterbe – Schönste Strassen der Welt: Der Chuysky Trakt
Aussichtspunkt auf den Katunfluss

Das Altai ist ein 4506m hohes mittelasiatisches Hochgebirge im Grenzgebiet von Kasachstan, Russland, der Mongolei und China. Die Schönheit der Landschaft überwältigt uns. Überall wachsen Zedern, Kiefern, Lärchen, Fichten und Birken. Die Hochtäler zeigen üppiges Grün in allen Nuancen. Es duftet herrlich nach Kräutern, Thymian und Blumen. Wilde Gebirgsbäche schlängeln sich durch die Almen. Unzählige Ziesel huschen über die Wiesen und spielen vor ihren Erdlöchern. Adler, Milane und Falken fliegen immer wieder knapp über uns hinweg, auf der Suche nach Beute. Auch Christian versucht sein Glück beim Fliegenfischen, leider noch erfolglos. 

Übernachtungs- und Angelplatz

Umgeben von Zieseln
Prächtige Blumenwiesen

Wasser tanken direkt an der Quelle

Wir fahren immer wieder abseits der Straßen und über ehemalige Handelswege, wie die alte Passstraße, welche schon von Dschingis Kahns Truppen genutzt wurde.

Nach einigen Tagen nähern wir uns der Mongolei. Die Landschaft verändert sich deutlich. Das üppige Grün wandelt sich nun immer öfter in trockene Steppe. Wir sind nur noch eine Tagesfahrt von der mongolischen Grenze entfernt.

Dort findet wir einen traumhaften Übernachtungsplatz, genießen den Sonnenuntergang und ein Regenbogen in der Ferne beschert uns eine Szene wie man sie sonst nur aus kitschigen Filmen kennt.

Der berüchtigte Ruf der Mongolei lässt Christian nur schlecht schlafen in dieser Nacht. Ausdrücke wie Materialmord, Schlammschlacht, tiefe schwierige Furten und extreme Offroadpisten prägen die Gedanken. Wir starten den Motor und durchstreifen die letzten Züge des wunderschönen Altai.

Gigantische Aussicht auf die schneebedeckten Berge des russischen Altai

Erst abends erreichen wir den russischen Grenzübergang zur Mongolei, dessen Pforten sich, drei Autos vor uns,  pünktlich um 18 Uhr schließen. Voller Vorfreude erwarten wir nun die morgige Grenzöffnung und sind unendlich neugierig auf das neue unbekannte Land.